Schwere Unwetterlage mit heftiger Superzelle bei Elsterwerda am 22.06.2017

 

Die bisher schwerste Unwetterlage des Jahres 2017 kündigte sich für den 22.06. an. Bereits zuvor war heiße Luft über Frankreich nach West- und Süddeutschland geschwappt und führte zu Tageshöchstwerten von 30-35°C. Am 22. zog dann Tief Paul über der Nordsee Richtung Nordpolen und advehierte dabei die Heißluft noch weiter nach Norden. Dabei wurden im Tagesverlauf Temperaturen von bis zu 38°C in Deutschland gemessen, in Sachsen waren es immerhin noch bis 34°C. Mit dem Tief nahm der dynamische Hebungsantrieb in der heißen und sehr energiereichen Luftmasse (CAPE über 2000 bis 3000 J/kg) lokal deutlich zu, was Gewitterauslöse möglich machte. Weiterhin gab es beeindruckende Scherungswerte von >20 m/s, sodass sich auch organisierte Konvektion bilden konnte.


Bereits am Vormittag bildeten sich über der Nordsee Gewitter, welche nach Südosten weiterzogen. Diese konnte sich in der Folge deutlich organisieren und entwickeln. Bereits gegen 11 Uhr lag eine ausgeprägte Gewitterlinie an der Nordseeküste nördlich von Hamburg. Diese ging bereits mit schweren Sturmböen, teils orkanartigen Böen einher. Lokal gab es auch Downbursts mit Orkanböen! Diese Linie überquerte in der Folge u.a. Hamburg und richtete erhebliche Schäden an. Am Westende an der Linie konnten sich zudem einige eingelagerte Superzellen entwickeln. Diese erreichten gegen 13:30 Uhr Wolfsburg. Nachfolgend setzte sich vor allem die mittlere Superzelle durch und entwickelte sich besonders stark, während sie den benachbarten Zellen die Energie regelrecht wegfraß. Die benachbarten Zellen und die Linie selber bauten nun immer mehr ab - im Gegenteil zur angesprochenen Superzelle. An ihr traten nun vermehrt Orkanböen und Hagel von 3-4 cm im Durchmesser auf.


Gegen 14:15 Uhr erreichte diese Unwetterzelle Magdeburg. Dort traten erneut schwere, oft auch trockene Downbursts auf, welche Orkanstärke erreichten und teils massive Schäden verursachten. Auch ganze LKWs wurden hier umgeworfen. Im Stadtgebiet gab es erhebliche Probleme mit Windbruch, aber auch im Umland. Die Unwetterzelle zog nachfolgend Richtung Südosten weiter. Ich fuhr derweil Richtung Dresden und von da Richtung Elsterwerda, um später dort die Zelle abzufangen. Währenddessen bildeten sich auch in Rheinland-Pfalz, Hessen und im südlichen Nordrheinwestfalen neue Gewitter mit Zugbahn Richtung Osten. Auch in Südniedersachsen und Teilen Thüringens und Sachsen-Anhalts bildeten sich neue Systeme, darunter mind. 2 starke Superzellen gegen 16 Uhr bei Kassel und am Harz. Diese brachten teils Hagel von 3-5, teils bis 6 cm Durchmesser hervor.


Doch nun weiter zur Superzelle, welche am Westende der angesprochenen Gewitterlinie von Magdeburg aus unterwegs war. Diese erreichte gegen 16 Uhr den Elbe-Elster-Kreis im Südwesten Brandenburgs. Bei Elsterwerda konnte ich den extrem dynamischen Aufzug des Unwetters beobachten. Beeindruckende Farben von leicht grün über violett bis blau und grau zierten den Aufzug. Wolken stürzten nahe des Abwindbereichs deutlich sichtbar nach unten und lösten sich dabei auf. Es bestand akute Sturmgefahr! Kurz nach 16:15 Uhr brach ein schwerer trockener Downburst über der Stadt los. Schlagartig setzten Orkanböen ein, geschätzt mit Spitzenböen von teils über 130 km/h im Nordosten der Stadt. Ein Baumreihe hinter einer Häuserzeile brach binnen kürzester Zeit beinahe komplett um - man hörte überall das Brechen von Bäumen und Ästen. Große Ästen wurden von den Bäumen herum zu Boden gerissen - Äste, Laub, Staub und Gegenstände flogen durch die Luft. Nach 1-2 min wurde der Orkan weniger und es setzte trockener Hagel mit 1-2 cm Durchmesser ein, bevor ein nasser Downburst über mich hinweg zog. Orkanartige Böen - möglicherweise auch wieder Orkanböen - sowie extremer, mit Hagel durchsetzter Starkregen rauschten über mich hinweg. Nach wenigen Minuten wurde der Wind weniger und es gab noch einige Zeit lang heftigen Starkregen, teils gepaart mit kleinerem Hagel. Das Unwetter zog nun Richtung Südosten weiter. Im Stadtgebiet heulten nun die Sirenen. Zahlreiche Straßen waren wegen umgestürzter Bäume und abgebrochener Äste nicht befahrbar, es bildeten sich kilometerlange Staus. An einer Tankstelle bei meinem Standort wurde eine Tanksäule umgeworfen, bei einer anderen Teile der Verkleidung weggerissen. Ganze Baumreihen sind dem Sturm zu Opfer gefallen, Autos wurden durch herabstürzende Baumteile beschädigt. Auch Dächer wurden abgedeckt oder beschädigt. Ein Baum traf bei Elsterwerda den Auflieger eines LKW, der schwer beschädigt wurde. Auch der Zugverkehr kam komplett zum Erliegen. Kurz darauf wurde im Elbe-Elster-Kreis der Ausnahmezustand ausgerufen. Es gab viele hundert Feuerwehreinsätze in dem Durchzugsgebiet der Superzelle - teils fiel über Stunden hinweg der Strom aus. Das ganze Ausmaß der Schäden war zu diesem Zeitpunkt noch nicht absehbar. Mehr dazu jedoch später.

 

Aufziehende Superzelle bei Elsterwerda - Blick auf den RFD-Bereich...

 

Blick auf den Aufwindbereich der Superzelle...

 

 

 

Die Mesozyklone der Superzelle wird nun immer deutlicher erkennbar...

 

 

Extrem dynamische Zellunterseite am Interface RFD, Aufwind und FFD - Wolken rasen vor dem FFD nach unten und lösen sich auf...

 

Schlagartig setzen Orkanböen ein! Diese Baumreihe wird nahezu komplett geworfen (siehe Schadensbilder unten)...

 

Orkanböen von teils >130 km/h fegen über die Stadt - die Luft ist voll von Staub, Ästen, Laub...

 

Äste und Bäume brechen um mich herum im Orkan...

 

Heftiger Downburst über Elsterwerda...

 

 

Massive Staubaufwirbelungen - sieht schon fast ein wenig aus wie ein Tornado...

 

Anschließend setzt ein heftiger, nasser Downburst mit orkanartigen Böen/ Orkanböen und Hagel von 1-2 cm Durchmesser ein...

 

Sturmschäden nahe meines Standortes...

 

Oben erwähnte Baumreihe hinter den Häusern nach dem Orkan...

 

Fast alle größeren Bäume sind hier gefallen...

 

Die Straßen sind von Ästen übersät - Sturmschäden führen zu einem Verkehrschaos...

 

Überall umgestürzte Bäume...

 

 

 

 

 

Teils sind ganze Baumreihen gefallen...

 

Hier wurde ein LKW von einem Baum getroffen...

 

Video zur extremen Unwetterpassage mit Orkan und zu den Schäden in Elsterwerda - mit kurzem Ausblick zu den besonders schweren Schäden um Elsterwerda am Ende des Videos (externer Link: https://www.youtube.com/watch?v=JgM0JxNoNsI)


Ich versuchte aus dem Großschadensgebiet wieder raus zu kommen, weil derweil ausgehend von den Zellen über Sachsen-Anhalt und Nordthüringen ein neues System entstand, welches nach Sachsen hinein zog. Daran gebunden war auch eine Superzelle, welche von Halle und Leipzig Richtung Döbeln zog. Mit Mühe und über Umwege schaffte ich es Richtung Riesa und von dort nach Döbeln. Gegen 18:15 Uhr konnte ich bei Döbeln Richtung Westen den Aufzug eines sehr dynamischen Systems beobachten, welches aber mehr in ein MCS überging. Teils waren aber weiterhin kurze Mesozyklonen eingelagert, welche Rotation verursachten. Gerade diese etwas besser organisierten Zellen in dem System waren nicht ungefährlich. Eine beachtliche Shelfcloud zierte den herannahenden Komplex. Ich verlegte von Döbeln über Hainichen nach Frankenberg, wo ich noch etwas vor dem System blieb. Die Shelf war wirklich beeindruckend, auch die Farben waren echt spektakulär. Bei Hainichen wurde ich dann vom Core verschluckt. Starkregen und teils schwerer Sturm um 90 km/h zogen über mich hinweg. Lokal gab es auch orkanartige Böen über 100 km/h, welche einige Sturmschäden und umgestürzte Bäume verursachten. Das Gewittersystem überquerte in der Folge Sachsen und führte neben den anfangs heftigeren Zellen zu gewittrigem Regen, der mehr oder weniger stark gut 2 Stunden anhielt. Danach zog das System nach Osten raus und ich fuhr nach Freiberg zurück.

 

Shelfcloud bei Döbeln - ein beeindruckender Gewitteraufzug...

 

 

Gewitteraufzug mit massiver Shelfcloud Richtung Hainichen...

 

 

Turbulente Zellunterseite bei Hainichen...

 

Die Farben werden immer beeindruckender...

 

Starkregen und schwerer Sturm ziehen über die Region - lokal gibt es Sturmschäden...


Doch das war immer noch nicht alles. Im Westen von Deutschland hatten sich neue massive Gewitter formiert, welche nun ostwärts zogen. Auch hier waren wieder Superzellen eingelagert, die größeren Hagel und signifikante Böen mit sich brachten. Gegen 22 Uhr erstreckte sich das massive konvektive System von Berlin bis Frankfurt am Main. Vor allem der Südteil formierte sich über Thüringen Richtung Sachsen deutlich. Gegen 23 Uhr lag ein ausgeprägtes Gewittersystem östlich von Freiberg, welches von Plauen bis Döbeln reichte. Die Blitzrate nahm nun deutlich zu und lag bei 15-20, teils >20 Blitzen pro Minute. Ich wurde in Freiberg gegen 23:45 Uhr getroffen. Heftiger Starkregen, schwerer Sturm und einige Naheinschläge zogen über mich hinweg. Lokal gab es in Mittelsachsen erneut einige Sturmschäden und Feuerwehren mussten umgestürzte Bäume beseitigen. Auch nachfolgend bildeten sich immer wieder Gewitter aus. Besonders kräftig waren diese gegen 1:45 Uhr im Südwesten von Sachsen, wobei diese auch wieder bis Freiberg ausgriffen. In Freiberg gab es heftigen Starkregen, weiter im Südwesten auch wieder signifikante Böen und sogar kleinen Hagel. Dort waren Feuerwehren wegen Sturm- und Wasserschäden im Einsatz. Besonders heftig traf es dabei auch den Bereich Zwickau und Stollberg, wo zahlreiche Sturmschäden durch die Gewitter zuvor abgearbeitet werden mussten. Erst im Laufe der 2. Nachthälfte überquerte die Kaltfront von Tief Paul Sachsen und die Gewitter zogen endgültig nach Osten ab.

 

Aufziehendes Gewitter gegen 23:30 bei Freiberg...

 

Kräftige Blitzentladungen lassen eine Böenfront erkennen...

 

Heftiger Sturm gefolgt von heftigem Starkregen ziehen über Freiberg...

 

Rückseitig gibt es weiterhin kräftige Blitzentladungen - teils mehr als 20 pro Minute!

 

Auch gegen 2 Uhr ziehen nochmals kräftige Gewitter über die Region, bevor sich das Wetter beruhigte...

 

Video zum MCS mit beeindruckender Shelf bei Hainichen und zu den Nachtgewittern bei Freiberg (externer Link: https://www.youtube.com/watch?v=GNoPH76gdS0)


Der 22. war mit einer ausgeprägten Unwetterlage verbunden. Zahlreiche Superzellen bildeten Hagel von >4 cm Durchmesser und teils traten Orkanböen auf. Auch die größeren Gewittersysteme und Linien verursachten vielerorts Sturm- und Wasserschäden. Besonders heftig war allerdings die Superzelle, welche nordwestlich von Wolfsburg entstand und dann über Magdeburg, Elsterwerda und Bautzen zog und noch weit bis nach Tschechien hinein aktiv war. An ihr traten wohl die flächendeckendsten Sturmschäden an diesem Tag auf. Vielerorts gab es Orkanböen, vor allem im Interface von RFD und FFD. Einen Teil der heftigsten Böen gab es dabei "trocken", also ohne Niederschlag. Immer wieder gab es aber auch schwere "nasse" Downbursts. Dabei sind - ausgehend von den Schäden - oft auch Spitzen von deutlich über 140 km/h plausibel, lokal sogar Böen >170 km/h. Tornadoverdachtsfälle im Bereich dieser Superzelle wurden weiterhin diskutiert, wobei sich neben einem bestätigten Tornadoereignis bei Töppel in Sachsen-Anhalt (T4/F2) ein weiterer Fall bei Elsterwerda erhärtet hat. Die ersten Atemzüge dieses Tornados sind sehr wahrscheinlich auch bereits im Chasingvideo bei genauem Hinsehen erkennbar, da am Ende des trockenen Downbursts Staub nach oben gesaugt wird. Zuvor war bereits ein Funnel erkennbar, wie sich bei der späteren Durchsicht des Videomaterials zeigte - doch dazu mehr in der Schadensdokumentation unten. Weiterhin produzierte die Zelle in ihrem Durchzugsgebiet vielfach Hagel von 2-4 cm Durchmesser im FFD-Bereich, lokal auch Hagel bis um 5 cm Durchmesser. Gerade die größeren Körner richteten dabei lokal auch erhebliche Sachschäden an Autos und Gegenständen an, teils sogar an Häusern. In Sachsen waren u.a. in Kamenz 3 cm, in Sohland 4 cm und in Bischheim Häslich bis um 5 cm große Hagelkörner gemeldet worden. Vor allem in Bischheim Häslich wurden durch die hier aufgetretenen, sehr kompakten und nahezu kugelrunden großen Körner (damit hohes Volumen und Gewicht) auch einige Dächer beschädigt. Zum Glück traten im Bereich der höchsten Windgeschwindigkeiten meist eher kleinere Körner von 1-2 cm auf, während die größten Körner eher weiter nördlich im Abwindbereich auftraten. Dennoch reichte der Hagel von 1-2, teils 3 cm in Verbindung mit Böen der Stärke 10-12 aus, um erhebliche Hagelschäden an der Vegetation anzurichten. Teils wurden sogar Bäumstämme - u.a. von Kiefern - derart von den Hagelkörnern beschädigt, dass anschließender Pilzbefall tausende Festmeter Holz zusätzlich unbrauchbar machte. 


Ich habe mich in den Folgetagen zur Schadensdokumentation im Bereich Königsbrück-Thiendorf in Sachsen und im Bereich Elsterwerda nochmals umgesehen. Neben Fallwindschäden wird dabei auch der angesprochene Tornadoverdacht diskutiert. Hier geht es zur umfangreich bebilderten Schadensdokumentation!

 

Die oben angesprochenen Zellen konnten übrigens durch eindeutige Rotation im Doppler-Radar eindeutlig als Superzellen identifiziert werden (durch kachelmannwetter.com).

 

© Michel Oelschlägel  

Datum: 21. November 2024

                  

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