Superzellen und gewaltiges MCS nach Hitzewelle am 20.06.2013

 

Die erste, markante Hitzewelle des Jahres 2013 in Deutschland ging bereits nach 3-4 Tagen wieder zu Ende. Vor allem am 19. und 20. des Monats wurde es verbreitet sehr heiß mit Temperaturen von 32-37°C. Auch in Sachsen wurden Temperaturen von deutlich über 30°C erreicht, teils auch Dekadenrekorde aufgestellt. Vielfach fielen die Nachttemperaturen nicht unter 20°C (Tropennächte). Zugleich wies die Luftmasse hohe Taupunkte und damit eine hohe Luftfeuchte auf, wodurch die gefühlte Temperatur teils >37°C lag. Ein starker Deckel (Temperaturumkehr durch Hochdrucküberlagerung in der Höhe) stabilisierte die sehr gewitterträchtige Luftmasse in Sachsen lange Zeit, was sich aber am 20.06. ändern sollte.

 

Auch der 20. startete heiß mit Temperaturen von 32-35°C. In den Nachmittagsstunden entwickelten sich erste Wärmegewitter im Westerzgebirge und Vogtland sowie in Ostthüringen und in Nordostbayern. Diese waren anfangs noch unorganisiert und kurzlebig. Im Laufe des Nachmittags nahm allerdings die Windscherung (Richtungs- und Geschwindigkeitsänderung des Windes mit der Höhe) immer weiter zu, sodass die Gewitter immer stärker und langlebiger wurden. Die Zellen bewegten sich dabei kaum, sodass lokal sehr hohe Regenmengen zustande kamen, was nicht ohne Folgen blieb. Gegen 16 Uhr fuhr ich von Freiberg aus Richtung Ostthüringen, da dort bereits schwere Gewitter aktiv waren. Auf dem Weg dahin schwächten sich aber diese Zellen langsam ab.

 

Nach einem kurzen Tankstop bei Ronneburg führ ich zurück nach Sachsen. Dabei fiel mir gegen 17:30 Uhr eine Neubildung bei Crimmitschau auf, die doch irgendwie sehr imposant wirkte und auch eine Art Versorgungslinie aufwies. Noch konnte man unter der Zelle durchschauen und das Radar zeige ebenso keine Auffälligkeiten in diesem Gebiet an. Dennoch fuhr ich nachfolgend Richtung Crimmitschau...

 

Zellneubildung über Crimmitschau gegen 17:30 Uhr

 

In Crimmitschau angekommen fielen erste große Regentropfen, dann rasch auch Hagelkörner vom Himmel. Das steigerte sich schnell zu einem heftigen Hagelschauer mit 2-2,5 cm großen Hagelkörnern. Rasch intensivierte sich nun das Gewitter, gegen 17:45 Uhr wies die Zelle höchste Radarreflektivitäten von >55 dBZ auf. Der Hagel wurde immer größer. Bald schon fielen 3-4 cm große Schlossen vom Himmel, vereinzelt auch bis 5 cm große Körner. Da die Zelle kaum eine Verlagerungstendenz aufwies, blieb sie lange Zeit über der Region Crimmitschau liegen.

 

einsetzender Hagelschlag in Crimmitschau mit Hagel bis 2,5 cm

 

einsetzender Großhagel von 3-5 cm Durchmesser

 

heftiger Hagelschauer mit weiterhin großen Hagelkörnern >4 cm

 

Kurze Zeit später setzte zum Hagel und Starkregen schlagartig heftigster Sturm ein, lokal schwere Sturmböen, wenn nicht sogar orkanartige Böen, rauschten zusammen mit 3-5 cm großen Hagelkörnern über meinen Standort hinweg, die Körner krachten dabei mit voller Wucht gegen das Auto. Nach kurzer Zeit ließ dieser Hagelsturm wieder nach...

 

einsetzender Downburst mit schwerem Sturm und Hagel >4 cm

 

heftige Böen peitschen über die Region

 

nach dem Gewitter - Hagelfunde von 3 bis >4 cm Durchmesser an meinem Standort

 

In Crimmitschau selbst gab es durch das Unwetter erhebliche Wasseransammlungen und Überflutungen, Keller liefen voll, der Hagel beschädigte zudem etliche Autos. Auch an meinem Auto hinterließ er zahlreiche Dellen, >40 Stück konnte ich recht schnell erkennen, einige waren auch recht tief. Im Norden der Stadt gab es eine große Schlammlawine. Ich fuhr anschließend langsam Richtung Meerane weiter. Auf dem Weg aus Crimmitschau kam ich erneut in 2-3 cm großen, fast "trocken" fallenden Hagel, einzelne Körner waren auch bis 4 cm groß. Zudem bekam ich den Aufwind der Zelle zu Gesicht. Spätestens jetzt war mit klar, was ich bereits vermutet hatte, eine Superzelle lag über dem Gebiet...

 

Überflutungen in Crimmitschau

 

überall gibt es erhebliche Wasseransammlungen

 

Ortsausgang Crimmitschau nach Meerane - erneut setzt Hagel bis 3 cm Durchmesser ein, einzelne Körner erreichen auch >3cm

 

Blick auf die Mesozyklone der klassischen Superzelle, welche den Hagel in Crimmitschau verursacht...

 

Weiter ging es nach Meerane. Ab und an gab es heftige Erdentladungen aus dem Aufwind. Durch Neubildungen auf breiter Linie wurde die Zelle nachfolgend mehr und mehr Bestandteil eines multizellulären Systems, weshalb die Großhagelgefahr langsam abnahm. Der Gewitterkomplex beeinflusste noch einige Zeit lang die Region um Meerane mit Sturm, heftigen Starkregen und Hagel bis 2 cm, bevor das System weiter über Altenburg nach Leipzig zog.

 

Unterdessen entwickelten sich in Böhmen schwere Gewitter, welche auf das Westerzgebirge übergriffen. Dieser Gewitterherd war sehr blitzaktiv und verursachte anfangs überwiegend äußert kraftvolle Erdentladungen, wodurch er von vielen Erzgebirglern als ungewöhnlich heftig wahrgenommen wurde. Diese Gewitter verstärkten sich auf ihrem Weg Richtung Chemnitz und Gelenau weiter, weshalb ich versuchte, das System bei Frankenberg abzufangen. In Lichtenau hatte ich gegen 19:30 Uhr einen ersten, guten Blick auf das aufziehende, beeindruckende Gewittersystem. Nördlich des Komplexes hatte sich eine mögliche Superzelle gebildet. Über mir lag der Eisschirm, in dem es im Sekundentakt blitzte. Im Vergleich zu vorher gab es mittlerweile vorrangig nur noch Wolkenblitze und der Anteil an Erdentladungen war recht überschaubar. Zugleich wehte ein stürmischer Inflow direkt in das System hinein, was auf ein größeres Gewitterereignis hindeutete. Ich fuhr anschließend weiter nach Frankenberg...

 

aufziehendes Gewitter in Mittelsachsen aus Richtung Chemnitz, aufgenommen bei Lichtenau

 

Der grünliche Himmel rechts im Bild deutet auf Hagel hin, möglicherweise handelt es sich bei diesem Gewitter um eine kurzlebige Superzelle...

 

Absenkung (Wallcloud?) über der Region Frankenberg

 

Von Frankenberg ging es weiter Richtung Flöha. Dabei kam ich in den Core des Unwetters. Sturm und Starkregen setzten ein, bald darauf Hagel. Anfangs fielen einige Körner von teils >5 cm Durchmesser, später gab es weiter andauernden Hagelschlag mit Größen von 2-3 cm, wobei einzelne Schlossen auch noch 3-4 cm groß waren. Zudem blitze es alle 2-3 Sekunden, eine beeindruckende Stimmung.

 

Starkregen und Hagel zwischen 2-4 cm Durchmesser, anfangs gab es auch einzelne Hagelkörner von >4 cm...

 

 

Weiter ging es nachfolgend über Flöha und Oederan nach Freiberg. Auf dem Weg dorthin gab es vielerorts Überflutungen und einige Sturmschäden. Weiterhin regnete es zeitweise sehr stark, ab und an fiel auch kleinkörniger Hagel. Ich schaffte es, nochmal etwas vor das System zu gelangen, bevor auch die Stadt Freiberg vom immer größer werdenden Gewittercluster erfasst wurde. Alle Aktivitätszentren über dem mittleren Osten und Teilen Bayerns verclusterten in der Folge immer weiter, während ein Bodentief über Sachsen entstand. Es entwickelte sich ein riesiges MCS, welches bald von Berlin bis Regensburg reichte.

 

Freiberg wurde ab 20:30 Uhr von den Gewittern erfasst. Rasch setzte Starkregen ein, der wenig später in einem schweren Wolkenbruch endete. Dazu gab es Hagel von 1-2 cm Durchmesser und zahllose Blitzentladungen. Rasch standen Straßen unter Wasser, die Kanalisation konnte die Wassermassen nicht mehr fassen und meterhoch schossen Fontainen aus Kanalöffnungen, Kanaldecken wurden vielfach ausgehoben. Ich brach nachfolgend mein Chasing ab, da ich erstmal die Kameraakkus neu laden musste. Die aktivsten Zellen des MCS wanderten weiter nach Nordsachsen und Dresden, aber auch am Erzgebirgskamm gab es immer wieder starke Kerne mit hohen Blitzraten. Die Gewitteraktivität hielt unter Abschwächung noch bis Mitternach an, danach zerfiel das riesige MCS recht schnell.

 

heftiger Wolkenbruch mit Hagel bis 2 cm in Freiberg

 

überlastete Kanalisation in Freiberg

 

Das gewaltige System verursachte erhebliche Schäden in Ost- und Süddeutschland. Vor allem in Nordsachsen und Brandenburg sowie Sachsen-Anhalt und Bayern verursachten schwere Sturmböen, orkanartige Böen und teils auch Orkanböen aus dem Cluster zahllose Sturmschäden. Bayern und Thüringen sowie Teile West- und Mittelsachsens wurden zudem von Hagelunwettern heimgesucht, wobei 3-5 cm große Körner, in Bayern bei Augsburg und Landsberg auch bis 7 cm große Körner erhebliche Schäden verursachten. In Sachsen war vor allem Crimmitschau, teils aber auch die Frankenberger Ecke betroffen. Zudem fielen verbreitet 30-60 mm, teils auch >100 mm Niederschlag durch das gewaltige System, was vielerorts, wie auch in Leipzig, Straßen und Keller unter Wasser setzte. Die Blitzraten lagen teils bei 50-60 Entladungen pro Minute. Feuerwehr und Polizei waren nach den Unwettern auch in Sachsen im Dauereinsatz.

 

Mit den unwetterartigen Gewittern wurde die energiereiche Heißluft weiter nach Polen abgedrängt und in den Folgetagen floss schrittweise kühlere Luft in Mitteleuropa ein. Die bisher heftigste Gewitterlage des Jahres 2013 ging mit der ersten Hitzewelle des Jahres zu Ende...

 

© Michel Oelschlägel

Datum: 21. November 2024

                  

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